Fast alle (!!!) körperlichen
Vorgänge sind uns unbewusst. Zu einem bestimmten Zeitpunkt können wir immer
nur einen Bruchteil wahrnehmen. Voraussetzung ist, dass der betreffende
Prozess eines oder (im günstigsten Fall) sogar mehrere unserer Sinnesorgane
erregt. Außerdem müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf das Geschehen richten.
Funktioniert beides, eröffnet sich uns die Möglichkeit, die betreffenden
Vorgänge willentlich zu beeinflussen.
Noch relativ einfach gelingt
uns dies bei der Atmung: Wird uns bewusst, dass wir zu schnell atmen, können
wir meist problemlos auf einen langsameren Takt umstellen. Ähnliches gilt für
Verspannungen in größeren Muskelgruppen, bei denen es viele Menschen schaffen,
willentlich wieder etwas „lockerer zu lassen“ (sofern sie sich ihrer
Verspannungen bewusst sind). Schon schwieriger wird es, wenn es darum geht,
ein „rasendes Herz“ zu verlangsamen, ein hochrotes Gesicht zu normalisieren
oder Schweißausbrüche zu beenden. Spätestens beim Versuch, einen zu hohen
Blutdruck zu senken, dürften die meisten kapitulieren.
Die aufgezeigten Unterschiede
erklären sich dadurch, dass man relativ leicht erlernen kann, Skelettmuskeln
zu kontrollieren. Das kann jeder an sich selbst überprüfen, wenn er versucht,
unbekannte Bewegungsabläufe zu trainieren (beispielsweise als Rechtshänder die
linke Hand einzusetzen). Beim Benutzen der Skelettmuskulatur liefern uns
besonders der Lage- und Tastsinn sowie unsere Augen eine Fülle an
Rückmeldungen darüber, ob sich die Muskeln bereits in der gewünschten Weise
bewegen. Ist das nicht der Fall, üben wir solange weiter, bis das angestrebte
„Bewegungsprogramm“ gefunden ist. Dieses schleifen wir dann durch
Wiederholungen solange ein, bis es uns „in Fleisch und Blut übergegangen ist“
(wir also nicht mehr unsere Aufmerksamkeit darauf konzentrieren).
Bei vielen Körperfunktionen
fehlt uns leider eine dem Bewegungsapparat vergleichbare Fülle an
„Feedback-Lieferanten“. Beispiel dafür ist der bereits erwähnte Blutdruck. Um
ihn genau registrieren zu können, sind wir in aller Regel auf Messgeräte
angewiesen, die uns dann gleichsam als „Ersatzsinnesorgan“ dienen. Solche
„Ersatzsinnesorgane“ sind die Grundlage der therapeutischen
„Biofeedback-Verfahren“.
Um ein wirksames „Feedback“
geben zu können, muss die Rückmeldung durch das Messgerät allerdings schnell
erfolgen. Anderenfalls können wir kein Gespür dafür entwickeln, wie sich der
Zustand anfühlt, den uns das Gerät gerade anzeigt. Denn wenn die Meldung erst
eintrifft, wenn sich der körperliche Zustand erneut verändert hat, können wir
keinen Zusammenhang mehr zwischen dem gemessenen Wert und dem gefühlten
Körperzustand herstellen. Auch darf unsere Aufmerksamkeit nicht durch andere
Dinge abgelenkt sein, da wir sonst kein bewusstes Gefühl für den aktuellen
Körperzustand entwickeln können. Deshalb sind handelsübliche
Blutdruckmessgeräte leider keine idealen „Biofeedback-Geräte“. Denn zum einen
dauern ihre Messungen relativ lange, zum anderen ist man gerade bei der
Selbstmessung so intensiv mit dem Messvorgang beschäftigt, dass man sich kaum
auf das momentane Körpergefühl konzentrieren kann.
Weitaus geeignetere
Biofeedback-Geber sind Pulsmesser oder Instrumente, die die Leitfähigkeit der
Haut messen. Solche Geräte erleichtern es dem Benutzer, sich ganz auf sein
momentanes Körpererleben zu konzentrieren, während er durch optische oder
akustische Signale erfährt, ob er sich dem erwünschten Ziel (Beispiel:
Muskelentspannung) nähert oder sich eher davon entfernt. Diese Methode ähnelt
Kinderspielen, bei denen man mit verbundenen Augen etwas sucht, während man
von den Mitspielern durch die Information „heiß“ oder „kalt“ erfährt, wie
aussichtsreich das momentane Suchverhalten gerade ist.
Wird der Zielzustand
erreicht, kommt es darauf an, sich das damit verbundene Erleben soweit
einzuprägen, dass es später willentlich – und ohne äußeren Feedbackgeber –
wieder hergestellt werden kann. Dabei ist es wichtig, Unterschiede zwischen
dem Zielzustand („Entspannung“) und dem unerwünschten Zustand („Verspannung“)
erkennen zu können. Wenn dies gelingt, kann man sich selbst das Feedback
geben, das anfänglich vom Feedbackgerät geliefert werden musste.
Biofeedback hilft uns also,
aus der Fülle möglicher Körperzustände besonders günstige „herauszufiltern“
und sie so einzuüben, dass sie uns bei Bedarf leichter zur Verfügung stehen.
An die Stelle des äußeren Biofeedbackgebers tritt allmählich ein durch Gespür
zu identifizierender und willentlich herbeizuführender Körperzustand, der mit
dem angestrebten Zielzustand eng gekoppelt ist. Die Situation ähnelt somit
einem Krimi, in dem eine entführte Person mit verbundenen Augen versucht, alle
möglichen Reize (Straßengeräusche, Temperaturen, Gerüche) wahrzunehmen, um mit
Hilfe des Gesamteindrucks das Versteck später wieder zu finden.
Exkurs:
Vermutlich verdanken wir auch unsere Fähigkeit, Gefühle wahrnehmen zu können,
einem Biofeedback-Prozess. Indem andere Mensch auf uns traurig, freudig,
ängstlich usw. reagieren („Gefühlsansteckung“), liefern sie uns Rückmeldungen
darüber, dass auch in uns selbst zum selben Zeitpunkt emotionale Vorgänge
ablaufen. Der entsprechende Lernprozess setzt schon in den ersten Lebenstagen
ein. Wenn wir Glück haben, helfen uns unsere Bezugspersonen in dieser
wichtigen Lebensphase, eine Vielfalt an Gefühlen wahrzunehmen und mit diesen
angemessen umzugehen. Läuft es weniger gut, etwa weil die Eltern depressiv
oder abwesend sind bzw. emotional nicht reagieren, wird das Kind später
vermutlich Schwierigkeiten haben, eigene Gefühle zu erkennen. Möglicherweise
wird es dann verstärkt dazu neigen, die mit Gefühlen verbundenen körperlichen
Veränderungen (z.B. Herzrasen, Durchfall, Schwitzen) nicht als
Gefühlsausdruck, sondern als gefährliche „Krankheit“ zu werten. Solche
Menschen neigen möglicherweise vermehrt dazu, äußere Feedback-Geber zu nutzen,
wie die Meinung anderer Menschen, die Uhr (sie essen, wenn es 12 Uhr ist und
nicht weil sie Hunger haben) und die Waage (sie streben das gesellschaftlich
vorgegebene Idealgewicht und nicht das Gewicht, mit dem sie sich wohl fühlen).
|